Wild ist gar nicht so wild

“Wenn Wolfgang Petry das Flanellhemd an den Haken hängt und als dreitagebärtiger Pete Wolf plötzlich Blues schrammelt, wenn Miley Cyrus nicht mehr das brave Mädel vom Disney-Kanal ist sondern halbnackt auf einer Abrissbirne durchs Musikvideo schwingt: Dann waren, mit großer Wahrscheinlichkeit, verdammt clevere Imageberater am Werk. Und die bräuchte dringend auch das Wild, diese Randnotiz in unserer stetig wachsenden Fleischauswahl.

Denn obwohl es sozusagen nebenan wohnt, obwohl wir täglich von A39 aus die Rehe im Morgennebel äsen sehen oder angesichts unseres von Wildschweinen durchpflügten Vorgärten einen Nervenzusammenbruch bekommen: Rindersteaks aus Argentinien und Lachsfilet aus Norwegen erscheinen uns weniger exotisch als unsere tierischen Nachbarn in den Wäldern. Warum viele, besonders auch Gäste im mittleren Alter nicht wild auf Wild sind? Weil sie es mitunter gar nicht kennen. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden Hirsch und Fasan als potentiell strahlenbelastet aus Mutters Rezeptbuch gestrichen; und auch im Supermarktprospekt werden zwar Garnelen aus Thailand angepriesen, Hase und Reh aber fast nie. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Wobei: Aus den Augen ist gar kein so schlechtes Zeichen. Denn dass Wild nicht in 99-Cent-Schälchen in der Kühltruhe liegt, sondern bestenfalls direkt beim Jäger gekauft wird, spricht für seine Herkunft. Statt wie sein domestizierter Artgenosse im Stall, lebt das Wildschwein ein selbstbestimmtes Leben im Wald; statt durch Mast kann das Fleisch natürlich wachsen. Das macht es nährstoffreich – und das schmeckt man.  Auch wenn der süßlich-strenge Wildgeschmack, der sogenannte Hautgout, für sich allein nichts jedermanns Sache ist: Mit der richtigen Soße und den passenden Beilagen ist Genuss garantiert – oder mit diesem einfachen Wildgulasch:

In einer Pfanne 1 EL Öl erhitzen, das Fleisch (etwa 1kg Hirschgulasch in 3 bis 5cm großen Stücken) portionsweise kräftig, dunkel anbraten und wieder herausnehmen. Den Bratensatz mit 150ml Rotwein ablöschen und für die Sauce aufbewahren. Nun 1 EL Öl in einem Schmortopf erhitzen und jeweils 120g gewürfelte Zwiebel, Karotte und Sellerie darin bei mittlerer Hitze bräunlich anrösten. 1 TL Puderzucker darüber stäuben und leicht karamellisieren. 1 EL Tomatenmark unterrühren und kurz rösten. Mit 150ml Rotwein ablöschen und einkochen lassen. Das Fleisch dazugeben und mit 200ml Wildfond und dem abgelöschten Bratensatz aufgießen. Das Hirschgulasch bei milder Hitze knapp unter dem Siedepunkt etwa 2 Stunden weich schmoren. Nun 1 Splitter Zimtrinde, 1 Lorbeerblatt mit jeweils 1 TL Wacholderbeeren und 1 TL Pfefferkörnern in einen Einweg-Teebeutel oder Gewürzsäckchen füllen und verschließen. 1 Zehe Knoblauch in feine Würfel schneiden und mit 1 Stück Zartbitterschokolade, 1 EL Preiselbeeren aus dem Glas und dem Gewürzsäckchen zum Gulasch geben und gut 30 Minuten weitere schmoren. Mit etwas Salz abschmecken und dann einfach genießen.

Und Sie werden feststellen: Wild ist gar nicht so wild.

Tom Tautz